Vorgeschlagen von ...
Dr. Annette Mehlhorn, 2010:
„Die Evangelische Frauenhilfe feiert in diesem Jahr ihr 100. Jubiläum. Gegründet wurde sie wurde am 16. November 1910 im Rathaussaal. Ihr erstes Ziel war es, Not zu lindern. So wurden z.B. Wöchnerinnen oder Kranke durch nachbarschaftliche Koch- und Einkaufsdienste oder durch die Versorgung von Kindern
unterstützt. Schon bald weitete sich dieses Ansinnen zu einem umfassenden sozialen Netzwerk aus, das Suppenküchen, Krankendienste, Unterstützung von verantwortlichen Ärzten, Hebammen und Pfarrern sowie die finanzielle und materielle Unterstützung in besonderen Notlagen einschloss. Später kamen Frauenbildungsprogramme wie Nähkurse hinzu, der Dienst in Lazaretten und ein breites Freizeit- und Unterhaltungsangebot. In diesem sozialen Netzwerk arbeiteten evangelische Frauen mit Frauen anderer Konfessionen und Weltanschauungen zusammen. Sie legten dadurch Grundlagen für soziale Unterstützungsstrukturen, die später durch staatliche Fürsorgeleistungen ersetzt wurden. Dadurch konnten sich die Frauenhilfsgruppen nach dem 2. Weltkrieg anderen Aufgaben widmen. Sie waren weiterhin sowohl nachbarschaftlich als auch in weitreichenden Hilfsaktionen, z.B. im Blick auf die Entwicklungsprojekte aktiv. U.a. trugen sie durch die Aktion ‚Kauft keine Früchte der Apartheit‘ und ‚Kleen Glothes‘ und die Weltgebetstagskampagnen zur Bewusstseinsbildung im Blick auf globale Gerechtigkeit bei.
Zwar gibt es einige bekannte Gründerinnen der Frauenhilfe, doch selbst diese standen zu ihrer Zeit – zur Gründungszeit bestand noch kein Wahlrecht für Frauen – noch im Schatten ihrer Männer. Die Gründungsurkunde benennt als Gründerinnen und erste Vereinsvorsitzende „Frau Adam Opel Wwe, Frau Bürgermeister Treber, Frau Prokuristin Diehl, Frau Pfarrer Fuchs, Frau Martin Hummel, Frau A. Stoeckicht, Frau Gemeindeeinnehmer Treber“. Man sieht: Die Frauen blieben letztlich namenlos, obwohl sie sich um das Gemeinwesen sehr verdient machten. Das gilt auch für ihre weitere Geschichte. Einerseits ist die Frauenhilfe in ihren Anfängen also einem herkömmlichen Frauenbild im Sinne von Dienstbarkeit und Demut verpflichtet. Andererseits weist ihre Geschichte auf ein bleibendes Desiderat des Zusammenlebens hin: Dass es Menschen gibt, die sich ohne viel Aufhebens der Sorge und Pflege der
Mitmenschen widmen. Standen ihre Aufbrüche als Frauen im Dienst an der sozialen Fürsorge noch in Abgrenzung von der aufkommenden Emanzipationsbewegung, entwickelte sich doch in den Frauenhilfen im Verlauf der Jahre zunehmend ein emanzipatorisches Bewusstsein der Frauenrolle in der Kirche und Gesellschaft. Darum ergeben sich aus ihren Geschichten durchaus kritische Fragen im Blick auf die Bedeutung des ‚Caring‘ (der gegenseitigen Sorge und Angewiesenheit) als einer gesellschaftlichen Notwendigkeit, die sowohl ein Menschenrecht als eine Menschenpflicht darstellt und die auch durch die Existenz des Sozialstaates nicht überflüssig wurde. Im Sinne dieser kritischen Fragestellung wollen wir in Gemeinde und Dekanat den 100. Geburtstag der Evangelischen Frauenhilfe begehen. Eine Auszeichnung der Frauenhilfe zum ‚leuchtenden Vorbild‘ in Rüsselsheim wäre ein besonders schönes Geburtstagsgeschenk. Es gäbe die Gelegenheit, auf die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements in gegenseitiger Unterstützung und Verantwortungsübernahme hinzuweisen.“