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Leuchtende Vorbilder

Friedrich Meister, 1909 – 2007

Porträtzeichnung von Friedrich Meister

Vorgeschlagen von ...

Friedenstreff Rüsselsheim und Umgebung (2019):

„Leuchtendes Vorbild Friedrich Meister
Wir vom Friedenstreff Rüsselsheim und Umgebung schlagen Friedrich Meister als ‚Leuchtendes Vorbild‘ vor.
Quellenlage:
Wir legen unserer Wertung insbesondere die Informationen zugrunde,

  • die wir den ausführlichen Interviews von Herrn Klaus Pflügner mit Herrn Meister aus dem Jahre 1986, welche im Stadtarchiv bewahrt werden, entnehmen konnten
  • welche die Aktion Stolpersteine zusammengetragen hatte: Echo online vom 30.11. 2011, http://www.stolpersteine- ruesselsheim.de/seiten/MeisterFriedrich.php , den Film von der Verlegung des Stolpersteins vor seinem Haus https://www.youtube.com/watch?v=AUdZdT0xF4U,)
  • die uns Frau Waltraut Ruf im Februar 2019 in einem längeren Gespräch und vermittels ihrer handschriftlichen Aufzeichnungen mitteilte. Frau Ruf, Jahrgang 1931, betonte die Nähe ihrer Eltern zu Herrn Meister, auch habe sie ihn von Kindheit an gekannt und bis zu seinem Tod mit ihm in Verbindung gestanden. Der uns von ihr benannte Herr Hart, ehemaliger Alpenvereinsvorsitzender aus Weilbach, ebf. Jahrgang 1931, von dem wir uns weitere Aussagen über Herrn Meisters Leben und Vereinstätigkeit als Jugendwart in der Zeit nach dem Krieg erhofften, konnte den Informationen von Frau Ruf über dessen eher zurückgezogenes und unauffälliges Leben nach dem Untergang des nationalsozialistischen Staates nichts hinzufügen. Selbiges Bild zeichnet auch sein Sohn in der Rede bei der Verlegung des Stolpersteins zum Gedenken an seinen Vater in dem obigen Film auf youtube.


Wir folgten in den Grundzügen der lebendigen Erzählung von Frau Ruf über ihre Erinnerungen an Herrn Meister. Wenn zwischen den Quellen im Detail doch bisweilen Widersprüche auftauchten, folgten wir jedoch den Informationen, die Herr Meister selbst im Gespräch mit Herrn Pflügner gab. Das Gesamtbild, das sich so ergibt, ist aber in sich stimmig und i.w. widerspruchsfrei.

Die uns wichtigen Kerndaten seiner Biografie:
Aufgrund unserer Informationen entsteht das Bild eines langen Lebens, 1909 bis 2007, das zumeist (bis zum Eintritt in den Rotfrontkämpferbund 1928 sowie nach dem Krieg) von Zurückhaltung und privater Lebensgestaltung geprägt war, über die wir wenig erfahren konnten, was von öffentlichem Interesse wäre. Nach dem Krieg wurde dieser Rückzug gemäß seinem Zeugnis auch wegen der Ungerechtigkeiten in den Entnazifizierungsverfahren, welche den Opfern keine Gerechtigkeit habe widerfahren lassen, der Restauration der alten Besitzverhältnisse bei Opel und der Verfolgung seiner Kampfgenossen aus der kommunistischen Partei in den 1950-er Jahren verursacht. Aus der entschiedenen Ablehnung der Atomenergie, die gegen Ende des langen Interviews von 1986 deutlich wird, aber auch in der - ebf. dort belegten - bewussten Abkehr von
den kommunistischen Dogmen seiner Jugendzeit, darunter auch der kritischen Reflektion des „bewaffneten Kampfes“, wird aber deutlich, dass er bis ins hohe Alter mit wachem Verstand die kulturellen und politischen Vorgänge reflektierte und als wählender Bürger daraus seine Schlüsse zog.

Bemerkenswert und allemal wert als ‚Leuchtendes Vorbild‘ in Erinnerung bewahrt zu werden, ist aber Friedrich Meisters Verhalten in der Zeit der sich anbahnenden und der sich vollendenden Katastrophe Deutschlands. Schon als junger Mann erkannte er die Gefahren, die mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten verbunden waren, trat der KPD bei, verkehrte bewusst mit Juden und später auch mit Zwangsarbeitern, verhalf nach Möglichkeit zur Flucht. Und er war bereit, nötigenfalls im bewaffneten Kampf gegen die Nationalsozialisten sein Leben, seine Gesundheit und seine Freiheit aufs Spiel zu setzen. Nur die vorzeitige Entdeckung des von ihm und seiner Gruppe im Auftrag der KPD im Odenwald angelegten Waffendepots 1932 und die damit verbundene Verurteilung zu 16 Monate Zuchthaus hat diesen – in seinen Erfolgschancen wohl eher skeptisch zu beurteilenden - Plan zu entschlossenstem Widerstand verhindert. Wie Frau Ruf bezeugte, gab er den Kampf gegen die Naziherrschaft aber nie auf: Er habe in seinem Heimatort auf dem Turm der Ziegelei eine rote Fahne angebracht und mit Stacheldraht und Pech den Aufstieg so unzugänglich gemacht, dass diese erst nach Wochen abgehängt werden konnte. Auf dem Speicher ihres Elternhauses im Odenwald habe er heimlich Flugblätter hergestellt. Später habe er auf Druck von Parteiinstanzen in seiner Odenwaldgemeinde, die heute zu Reichelsheim gehört, keine Arbeit mehr erhalten und habe schließlich ab 1937 (dank der Vermittlung ihres Vaters, der auf dem Arbeitsamt beschäftigt war) bei Opel in Rüsselsheim eine Anstellung gefunden. Hier habe er in äußerlicher Anpassung (Hitlergruß in der Öffentlichkeit) versucht, als unentbehrlicher Facharbeiter sein Leben zu erhalten, sich aber geschworen, nie für dieses Regime zu kämpfen. Deswegen ist er, als er im Februar 1943 den Gestellungsbefehl erhielt, noch vor Beginn der Ausbildung desertiert und versuchte in die Schweiz zu flüchten. Dies misslang und er wurde in Konstanz aufgegriffen, wo gnädige Richter ihn nicht sofort hinrichten ließen, was der gängigen Praxis entsprochen hätte, sondern ihm mildernde Umstände zubilligten und ihn zu 12 Jahren Zuchthaus nach Kriegsende und unbegrenztem Strafvollzug während der Kriegsdauer verurteilten. Gegen Ende des Krieges geriet er infolge der Verlegung seiner Strafgefangenengruppe vor den anrückenden US-Soldaten auf einem ‚Todesmarsch‘ aus
dem Elsass nach Osten nochmals in Lebensgefahr. Halb verhungert gelang es ihm zu entfliehen und unter falscher Identität auf einem Bauernhof als Landarbeiter bis zum Kriegsende zu überleben.

Zur Würdigung
Friedrich Meister ist der einzige Rüsselsheimer, von dem wir wissen, dass er die Kriegsteilnahme verweigert hat, stattdessen desertieren wollte und für diesen Versuch schwer leiden musste, nur mit Glück überlebt hat. Wir vom Friedenstreff bewundern Herrn Meister aber auch darum, weil er es wagte, sich von Anfang an aktiv dem Nationalsozialismus zu widersetzen und sich dem verbrecherischen Kriegsdienst aufgrund seines Welt- und Menschenbildes kompromisslos zu verweigern. In Rüsselsheim hatte er auch Hitlers ‚Mein Kampf‘ gelesen und das darin verbreitete Weltbild der Herrschaft des Stärkeren, des weißen Westeuropäers bzw. des ‚Ariers‘, in seiner Menschenfeindlichkeit erkannt und konsequent im Rahmen seiner Möglichkeiten bekämpft. Hätten die deutschen Männer sich massenhaft so antirassistisch, verantwortungsbewusst und mutig antimilitaristisch verhalten, dann hätte das nationalsozialistische Deutschland unser Land nicht in die Schande und Europa nicht ins Elend stürzen können.

In den gegenwärtigen Zeiten wird der Wahnsinn des Krieges auf höchstmöglichem technischen Niveau zwecks globaler Durchsetzung ‚unserer Werte‘ immer noch geplant – infolge der Nato-Erstschlagsdoktrin zum Einsatz atomarer Waffen jetzt gar auf eine die gesamte Menschheit bedrohende Weise. Nur durch konsequentes Wahlverhalten und Teilnahmeverweigerung an solchen Gewaltexzessen hätte das Volk – derzeit noch - die
Möglichkeit, die Kriegsbereitschaft sich militärisch überlegen dünkender staatlicher Repräsentanten zu hemmen. Jede Besatzungsherrschaft kann auf Dauer durch zivilen Widerstand gebrochen werden, nach einem Atomkrieg zwischen der Nato und Russland würde aber die Möglichkeit des Lebens überhaupt in Frage gestellt sein. Darum plädieren wir gerade in dieser Gegenwart und in diesem Rüsselsheim mit seiner heterogenen
Bevölkerung dafür, Herrn Friedrich Meister zum ‚Leuchtenden Vorbild‘ zu wählen.“

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