Vorgeschlagen von ...
Kai Schmidt (2001):
„Professor Klaus Fuchs gehört gewiss zu den Menschen, die im 20.
Jahrhundert Weltgeschichte geschrieben haben. Dass es in Rüsselsheim bislang noch
nicht zu einer positiven Würdigung seines Wirkens kam, hängt meines Erachtens mit
einer längst überholten Geschichtsschreibung und –lesung zusammen, die während des
Kalten Krieges entwickelt und auch nach dem Fall der Mauer noch gepflegt wurde (und
wird). Tatsächlich kann die Lebensleistung von Fuchs auf sehr unterschiedliche Weise
interpretiert werden. Die Hardliner der McCarthy-Ära sahen in ihm ausschließlich den
Verräter, der den Feind – die UdSSR – mit den Schlüsseldaten zum Bau der Atombombe
versorgt hatte. Ob die sowjetischen Wissenschaftler den auch ohne Fuchs hätten
bewerkstelligen können, soll dahingestellt bleiben. Tatsache ist, dass Fuchs die
Gewissensentscheidung zu treffen hatte, ob er Menschen wie Präsident Truman oder
Senator McCarthy allein die Macht überlassen dürfe, die Bombe zu zünden. Was das
hieße, haben schon die überflüssigen Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki gezeigt, mit
mehr als hunderttausend Toten. (Vier Monate früher hätte es ebenso gut Dresden oder
Köln treffen können!) Fuchs entschied sich für die nukleare Balance und dagegen, dass
Pjöngjang oder Moskau die nächsten Ziele der US-Army sein konnten. Er tat dies aus
innerer Überzeugung, ebenso wie er nach der Flucht aus Nazideutschland mit Kollegen
wie Niels Bohr, Max Born, Albert Einstein dafür sorgte, dass Hitlers Kriegsmaschine nicht
als erste über die Bombe verfügen konnte. Die Gefahr bestand. Dieselben großen
Physiker waren es auch, die eine internationale Kontrolle für die nukleare Bewaffnung
forderten – die Amerikaner ignorierten das. Prof. Klaus Fuchs nicht. Klaus Fuchs ist in
Rüsselsheim geboren. Ich halte ihn für den ‚größten‘ Sohn der Stadt (wenn man
überhaupt in solchen Kategorien urteilen sollte) und insbesondere in moralischer
Hinsicht für ein ‚leuchtendes Vorbild‘. Ein Mann, der aus Überzeugung den Gang ins
Gefängnis seiner britischen Wahlheimat England antrat, ein Mann, der
Widerstandskämpfer in einer Sache war, deren Dimension unvorstellbar bleibt. Wir
wissen nicht, was aus der Welt geworden wäre, hätte nicht Klaus Fuchs gehandelt, wie er
gehandelt hat. Ein unbewohnbares Trümmerfeld? Vielleicht. Es ist sehr schwer, das zu
beurteilen, ohne pathetisch zu werden. Fuchs‘ Vater Emil, ein sozial engagierter Pfarrer,
dem Rüsselsheim in Form eines Platzes auf dem Eichsfeld gedenkt, war sicherlich stolz
auf seinen Sohn. Rüsselsheim sollte das auch sein, sollte sich der Erinnerung an Klaus
Fuchs stellen (und ihn nicht behandeln, wie die junge Bundesrepublik etwa eine Marlene
Dietrich behandelt hat).“